NEWS
BaZ Interview mit Terri Lyne Carrington «Von Frauengettos in der Musik halte ich nichts»
Terri Lyne Carrington: Wichtig ist es vor allem, mit den vielen Entwicklungen in der populären Musik mitzuhalten. Darum lege ich meinen Studenten ans Herz, so viel unterschiedliche Musik wie nur möglich in sich aufzusaugen. So sind sie für die künstlerischen Herausforderungen gewappnet, mit denen sie als Profis konfrontiert sein werden. Man weiss ja nie, wann man ein bestimmtes Stilmittel brauchen wird.
BaZ: Ihr wohl erfolgreichstes Album ist das Grammy-gekürte «Money Jungle», eine Hommage an den grossen Duke Ellington. Was ist es an seinem Œuvre, das Sie so sehr fasziniert?
TLC: Für mich repräsentiert Ellington die expressive Freiheit, die nun mal die Essenz des Jazz ist. Er hat Elemente aus der indischen und auch der afrikanischen Musik sowie fortgeschrittene kompositorische Techniken in sein Werk einfliessen lassen, ohne dass dieses abgehoben oder verstörend daherkam. Mit meinem aktuellen R'n'B-Projekt Mosaic2, mit dem ich diese Woche nach Basel komme, versuche ich etwas Vergleichbares: Ich schreibe Songs, die zugleich eingängig und anspruchsvoll sein sollen.
BaZ: Thelonious Monk, dessen 100. Geburtstag heuer begangen wird, hat den Jazz einmal als Folk-Musik bezeichnet. Teilen Sie diese Ansicht?
TLC: Ja. Auch der Jazz spiegelt das Leben der Menschen. Nur verwendet er bei dieser Nacherzählung eine andere musikalische Sprache, als man es vom Folk gewohnt ist.
BaZ: Sie haben unlängst erzählt, wie Sie einst ein paar wenige Minuten lang mit Prince jammen durften. Warum dauerte diese Session nicht länger? Haben Sie sich mit Prince verkracht?
TLC: Ach wo. Ich stand einfach einmal bei ihm im Vorprogramm, da hat er sich für ein Gitarrensolo zu meiner Band auf die Bühne gesellt. Das war sehr cool und für einen Musiker von seinem Rang natürlich ungewöhnlich. Prince war einer der ganz grossen Innovatoren und Trendsetter der letzten Jahrzehnte. Es wäre schade, würde man sich nur wegen Songs wie «Purple Rain» oder «When Doves Cry» an ihn erinnern.
BaZ: Sie sind oft mit frauenlastigen Formationen wie etwa Ihrem Trio mit Esperanza Spalding und Geri Allen anzutreffen. Wie stark wirkt sich die Gender-Verteilung auf das Interplay innerhalb einer Band aus?
TLC: Damit Sie mich richtig verstehen: Von Frauengettos in der Musik halte ich nichts. Sicher tut es einer Band gut, wenn die Musiker oder Musikerinnen gemeinsame Interessen haben. Aber mit Gender haben diese Gemeinsamkeiten wenig zu tun. Der Saxofonist Greg Osby kann sich weitaus mehr für das Thema Mode erwärmen als ich. Was vielleicht nicht überraschen sollte, war ich doch schon immer ein Tomboy.
BaZ: Wie gut sind Frauen heute im Jazz vertreten, einem Genre, das als Männerbastion gilt?
TLC: Das Problem sind die allgemein geringen Erwartungen, die die Szene und auch das Publikum an Jazzmusikerinnen haben. Wir sind alle darauf programmiert, von einem Mann mit einem Bass mehr zu erwarten als von einer Frau, die das gleiche Instrument bedient. In meiner Lehrtätigkeit tue ich etwas dafür, dass sich das ändert. Ich packe meine Studentinnen viel härter an als die Studenten. Meine Raison: Die Frauen sollen so gut und so zäh werden, dass sie die niedrigen Erwartungen sprengen, die an sie gestellt werden. Vergessen wir nicht, dass die Genderkonflikte schon in den Musikschulen beginnen, wo Studentinnen oft die Avancen ihrer Lehrer und Mitschüler abwehren müssen.
BaZ: Ron Carter sagte neulich, dass man heute mehr Frauen im Jazz antrifft, weil Musikerinnen sich auf Tournee heute viel wohler fühlen als früher.
TLC: Das hat er gesagt? Frauen haben in der Musik die gleichen Probleme wie in anderen Berufen, was es noch schwieriger macht, einer Karriere nachzugehen, als es ohnehin schon ist. Ehe, Familie, Haushalt, das sind Verpflichtungen, die sich kaum mit diesem Beruf in Einklang bringen lassen. Vielleicht weiss Ron etwas, was ich nicht weiss. Ich glaube eher, dass er als Mann einfach die ganze Komplexität des Jazzpatriarchats nicht erkennen kann.
Frühes Talent. Die Amerikanerin Terri Lyne Carrington, geboren 1965 in Medford, Bundesstaat Massachusetts, gewann bereits mit elf Jahren ein Schlagzeugstipendiat für das renommierte Berklee College of Music in Boston. Nach ihrem Abgang sammelte Carrington wichtige Studio- und Bühnenerfahrungen mit illustren Musikern wie Dizzy Gillespie, Stan Getz, Herbie Hancock, Wayne Shorter und Al Jarreau. Seit 2007 ist Carrington Professorin an ihrer alten Musikschule, sie findet aber weiterhin Zeit, eigenen Projekten nachzugehen. In Basel tritt Carrington mit ihrer Soul- und R'n'B-Band Mosaic2 auf. Am Mikrofon steht China Moses, die Tochter von Dee Dee Bridgewater.
Parterre One, Basel. Fr, 19. Mai, 20.30 Uhr. Sa, 20. Mai, 21 Uhr. www.groovenow.ch
© Basler Zeitung, online@baz.ch